ZitatAlles anzeigenAlle Proteste von Wissenschaftlern haben nichts genutzt: In Italien wird Forschern der Prozess wegen Totschlags gemacht, weil sie nicht vor dem katastrophalen Beben von L'Aquila im April 2009 gewarnt haben. Dabei sind Erdstöße nicht exakt vorhersagbar.
Hamburg - Im zentralitalienischen L'Aquila hat am Dienstag ein Prozess um das schwere Erdbeben vom April 2009 begonnen, bei dem mehr als 300 Menschen starben. Vor Gericht müssen sich sieben Mitglieder einer Kommission zur Risikobewertung wegen fahrlässiger Tötung verantworten, darunter mehrere namhafte italienische Wissenschaftler. Die Staatsanwaltschaft wirft ihnen vor, das Risiko eines schweren Erdbebens unterschätzt und die Bevölkerung nicht ausreichend gewarnt zu haben.
Die Forscher hatten sechs Tage vor der Katastrophe dem Stand der Wissenschaft gemäß verkündet, ein schweres Beben für L'Aquila sei weder auszuschließen noch vorherzusagen. In den vier Monaten davor hatten mehr als 400 leichtere Beben die Region in den Abruzzen erschüttert. Das Beben am 6. April 2009 verwandelte das mittelalterliche Zentrum von L'Aquila in ein Trümmerfeld.
Zum Prozessauftakt erschien mit dem früheren Verantwortlichen des Zivilschutzes, Bernardo De Bernardinis, lediglich einer der sieben Angeklagten persönlich vor Gericht. Das Verfahren begann mit technischen Fragen wie mit der Zusammenstellung einer Liste der zu ladenden Zeugen und der Feststellung, welche Nebenkläger zugelassen werden. Die Familien der Erdbebentoten und weitere Nebenkläger fordern von den Angeklagten 50 Millionen Euro Schadenersatz.
Tausende Wissenschaftler hatten gegen den Prozess protestiert. Seismologen aus aller Welt hatten einen Appell an den italienischen Präsidentenunterschrieben, in dem dargelegt wurde, dass Erdbebenprognosen nicht möglich sind. Schreiben internationaler Wissenschaftsverbände flankierten den Protest, um zu erklären, was jeder Geologiestudent im ersten Semester lernt: Dass keine Warnsignale für Erdbeben bekannt sind .
Statt kurzfristiger Prognosen setzten Forscher auf Risikokarten. Sie können zwar nicht sagen, wann ein Beben eintreten wird. Doch gefährdete Regionen lassen sich anhand der geologischen Umwelt bestimmen. Auf den Karten leuchtet Mittelitalien krebsrot - schwere Beben in L'Aquila wurden von den Seismologen erwartet. Das lernt jeder Schüler in der Region.
Quelle:
SpiegelOnline
http://www.spiegel.de/wissenschaft/m…,787320,00.html